Des Schweigens in der Familie, der Leerstellen überdrüssig, arbeitet sich Frida in die Biografie ihres Großvaters hinein, welche bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts reicht: Sie hat ihn nicht mehr kennengelernt, aber lauscht den Erzählungen ihrer Familie, blättert durch die Fotoalben, nimmt Stimmen von Zeitzeug:innen auf, die in ihre Träume eindringen, und versucht in einem tieferen Sinne zu begreifen, was Sprache und Artefakte unter Mühen nur Schicht für Schicht freigeben: Ihr Großvater lebte bis zur gewaltsamen Annexion der sudetendeutschen Gebiete der ČSR durch das Deutsche Reich 1938 als beliebter Distriktarzt privilegiert in der Nähe von Reichenberg, dem heutigen Liberec. Dann näherte er sich immer mehr dem mörderischen nationalistischen Strudel und wurde 1942 als „Seuchenspezialist“ nach Lemberg (poln. Lwów, ukrainisch Lviv) berufen, der damaligen Hauptstadt galizischen jüdischen Lebens. Nach Kriegsende folgten Verhaftung, Gerichtsprozess und der Verlust der Heimat... – Spürbar schreiben sich die Ereignisse der NS-Zeit in die Familiengeschichte ein, ohne je deutlich zutage zu treten. Aber sie wirken bis in die nächsten Generationen nach. Die Inszenierung setzt hier an, nutzt biografisch-dokumentarisches Material, bringt Stellvertreter:innen ins Spiel und widmet sich aus familiengeschichtlicher Perspektive der mörderischen deutschen Geschichte und ihren Nachwirkungen in den Familien der Opfer und Täter. Versuch über meinen Großvater ist Teil der Tetralogie Inside Outside Europe und läuft ab dem 17. April 2025 als Einzelabend am Figurentheater Chemnitz. Ein Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes und durch Bundesmittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch Mittel der Stadt Chemnitz.
Quelle: Die Theater Chemnitz