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Potsa Lotsa XL
Welcher intelligible Mehrzeller könnte sich schon rühmen, jemals eine Amöbe mit eigenen Augen gesehen zu haben? Amöben sind einzellige Formwandler, die, um es mit dem irischen Autor Flann O’Brien zu sagen, etwas kleiner als unsichtbar sind. Wir wissen, dass es sie gibt. Doch wenn man sie schon nicht zu sehen vermag, so kann man ihnen jetzt zumindest beim Tanzen zuhören. Die Berliner Saxofonistin, Komponistin und Bandleaderin Silke Eberhard macht es mit ihrer Langzeitformation Potsa Lotsa XL möglich.
Bei ihrem Projekt »Amoeba’s Dance« begibt sich das sehende Ohr unweigerlich in einen wimmelnden Mikrokosmos, der von einer Vielzahl unglaublich sympathischer und liebenswerter Wesen bevölkert ist, welche eine völlig andere Weltsicht haben als wir selbst. Sowie man sich auf diese Welt einlässt, beginnt man zu schrumpfen und auch Silke Eberhards Musik mit anderen Ohren zu hören. Der Gesamtsound ihres Wimmelzoos ist sehr kleinteilig und organisch.
Vieles war auf dem Papier ausformuliert, und doch beginnt die eigentliche Formwandlung erst im Zusammenspiel mit den Musiker:innen der Band. Die kurzen Stücke verändern im kollektiven Voranschreiten ebenso ihre Form wie ihre nanozoologischen Vorlagen. Die mikroskopische Nähe des Sujets evoziert zugleich eine überraschende Nahbarkeit im Klang. Organische Plots entfalten sich wie Kurzfilme aus einem Floh-, oder in diesem Falle Amöbenzirkus – was durch die begleitenden Visuals der Animationskünstlerin Sanja Star, mit der Potsa Lotsa XL in Leipzig erstmals gemeinsam auftreten wird, abermals an Spannung gewinnt.
Kleine Welt ganz groß! Mehr noch als von ihren bisherigen Projekten kann man von diesem Exkurs Silke Eberhards sagen, dass er hochgradig und vorbehaltlos unterhaltsam ist. »Amoeba’s Dance« ist Jazz zum Liebhaben.
Besetzung:
Silke Eberhard (a-sax)
Jürgen Kupke (cl)
Patrick Braun (t-sax)
Nikolaus Neuser (tr)
Anke Lucks (trb)
Johannes Fink (cello)
Julius Apriadi (vib)
Antonis Anissegos (p)
Jan Roder (db)
Kay Lübke (dr)
Sanja Star (live animation)
Aly Keïta
Die Superlative, die in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Aly Keïta bemüht wurden, scheinen mittlerweile ausgereizt: »Spektakulär«, »großartig« und »berauschend« sind nur einige von ihnen. Doch was steckt dahinter? Fest steht: Der ivorische Balafonist begeistert sein stetig wachsendes Publikum mitsamt seiner Spielfreude und unnachahmlichen Bühnenaura seit mittlerweile über 30 Jahren.
Das ist auf eine Reihe von Gründen zurückzuführen. Zuvorderst darauf, dass er weltweit als virtuoser Ausnahmekönner seines Instrumentes gilt. Wenn er seine Schlägel scheinbar mühelos über die Klangstäbe tanzen lässt, kann einem im Angesicht der schieren Schlaganzahl schon mal schwindelig werden. Zugleich hat er sich über die Jahre eine Art stilistisches Alleinstellungsmerkmal geschaffen: Denn während das Balafon – ein Schlaginstrument, das entfernt an das europäische Xylophon erinnert, und in Westafrika eine knapp tausendjährige Geschichte aufweist – üblicherweise in traditionelleren Musikkontexten eingesetzt wird, wagt Keïta mit seinem Spiel einen Brückenschlag zwischen Tradition und popkultureller Moderne. So haben Einflüsse ivorischer Folklore ebenso ihre Spuren in seinem Spiel hinterlassen wie der Afro Pop und Funk der siebziger Jahre, die in zeitgenössischen Jazz-Arrangements kulminieren.
Keïtas Namen kennt man mittlerweile auf der ganzen Welt, sodass auch die Verleihung des Deutschen Jazzpreises im Jahr 2022 nur folgerichtig war. Kein Wunder also, dass in der Vergangenheit bereits so illustre Musiker:innen wie Omar Sousa, Pharoah Sanders oder Rhoda Scott bei Keïta anklopften, um gemeinsame Sache zu machen.
Doch egal ob als Sideman, Bandleader oder in diesem Fall als Solist: Ein Konzert mit Aly Keïta auf der Bühne ist ein Ereignis, das noch lange nachhallen wird.
Besetzung:
Aly Keïta (balafon)
Bobo Stenson Trio
Exklusiver Deutschland-Termin: Die Koryphäe des europäischen Piano-Jazz gastiert in Leipzig.
Der Begriff der Poesie wird im Kontext instrumentaler Musik derart inflationär gebraucht, dass die stille Virtuosität der wahren Poeten, die nie das Technische oder Fingerfertige ihres Spiels in den Vordergrund stellen, sondern stets aus der genuinen Metaphysik des Tons schöpfen, oft ins Hintertreffen gerät. Einer dieser Poeten ist der schwedische Pianist Bobo Stenson. Man muss nur die ersten Töne von Charles Lloyds Album „The Call“ (1993) rekapitulieren, bei denen das Piano sich leise aus dem Hintergrund meldet, ohne aktiv ins Geschehen einzugreifen, bis es unprätentiös die Linie des Saxofonisten übernimmt und wie ein Gedicht von Rainer Maria Rilke weiterträgt. Das ist wahre Poesie.
Bobo Stenson hat früh Bekanntschaft mit dem Free Jazz gemacht, galt aber nie als Free-Pianist. Doch aus dem Free Jazz nahm er mit, was dem Genre den Namen gab: die Freiheit auszudrücken, was immer in einem bestimmten Augenblick gesagt werden will. Oder um es mit Ornette Coleman zu halten: Freier als frei konnte er nicht sein. Warum also jeden Abend dieselbe Erfahrung vortäuschen? Egal, ob er an der Seite von Jan Garbarek, George Russell, Tomasz Stańko, Paul Motian oder eben Charles Lloyd spielte, er gab jedem Kontext innere Ruhe und Stabilität, zugleich aber auch Leichtigkeit und Transparenz.
Mit ebendieser Transparenz zaubert er seit nun mittlerweile fünfeinhalb Jahrzehnten in seinem eigenen Trio. Als würde er die Tasten gar nicht berühren, scheint er das Piano allein kraft seiner Inspiration zum Sprechen zu bringen. Stenson ist ein stilsicherer Pointillist, der mit präzise gesetzten Tupfern eine spektrale Wirkung erzielen kann. Mit Bassist Anders Jormin und Drummer Jon Fält hat er zwei Gleichgesinnte gefunden, die seine Auffassung von Poesie kongenial teilen.
Besetzung:
Bobo Stenson (p)
Anders Jormin (b)
Jon Fält (dr)
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Quelle: Oper Leipzig und Musikalische Kömödie